Mike - Ein Nachruf
Seit Samstag, dem 28. September 2019 um sechs Uhr zwanzig lebt Michael „Mike“ Korbik nicht mehr unter uns. Der Krebs hat sich in seinen Körper geschlichen und ihm nach 1 ½ Jahren grausam das Leben genommen. Er ist leider nicht sanft eingeschlafen, aber immerhin war er zu Hause und seine Frau Päivi bei ihm. Verwandte und Freunde konnten sich am Samstag noch von ihm verabschieden. Da lag er dann doch friedlich und mit entspanntem Gesicht auf seinem Bett. 65 Jahre ist ein gemeines und ungerechtes Alter zum Sterben. Das Berufsleben hinter sich gebracht und auch noch die Betriebsrente erstritten und dann nichts davon haben. Das Alter im ausgebauten Elternhaus Päivis in Finnland zu verbringen, ist sein Traum geblieben.
Bärbel und ich haben Mike durch die Rock- und Beatmusik zur Jahrtausendwende kennengelernt. Wir drei sind Steglitzer. Unsere Musikgeschmäcker unterschieden sich nur wenig. Nun ja, Mike mochte den Damengesang, wir bevorzugen mehr die etwas härtere Gangart. Seine Vorliebe zum Damengesang rührt wohl daher, dass er der Manager, männliches Ehren-Bandmitglied und Verleger der Girlgroup "Lemonbabies" war.
Wir waren gemeinsam zu vielen Konzerten der Berliner und internationalen Szene, zuletzt am 16. August 2019 beim Berlin Beat Club in der Spandauer Freilichtbühne. Am 17. August war Mike noch zu meinem Geburtstag gekommen. Beides fiel ihm schon sehr schwer, dann fing der Vorhang an zu fallen.
Etwas mehr zu den schönen Dingen. Wir waren im Juni/Juli 2013 gemeinsam in Kalajoki/Finnland, dem geplanten Alterssitz von Päivi und Mike. Auch dort waren wir zusammen auf einem Musik-Festival. Es gab außerdem einige gemeinsame Reisen und Kurztrips auf den Darß und in die nähere Umgebung, meistens mit den Rädern. Dann gab es viele Steglitzer Kneipenbesuche und Treffen zu Hause, mit Gesprächen über Musik und die gemeinsame Steglitzer Vergangenheit. Auch politisch lagen wir auf einer Wellenlänge. Mike war Gründungsmitglied der Alternativen Liste in Berlin, die er dann aber wieder verlassen hatte, weil sie ihm zu piefig wurde. Auch das kann ich nur zu gut verstehen.
Bilder aus besseren Zeiten!
Unser größtes gemeinsames Erlebnis war das 33-jährige Bestehen seines Plattenlabels „Twang!“, am 17. November 2017. Es spielten viele Bands, die auf seinem Label veröffentlicht waren, im Berliner Quasimodo auf. Es war ein epochales Ereignis und viele uns bekannte Leute waren anwesend. Ebenfalls gemeinsam im Quasimodo waren wir 2005 bei dem Reunion-Konzert der Boots, das Twang! 33 nicht viel nachstand.
Mikes Tod reißt ein großes Loch in unser Leben. Er fehlt uns als guter Freund, manchmal wortkarger Brummbär und als Lieferant und Ideengeber zeitgenössischer Beatmusik. Wir dürfen Musik hören, er musste sie berufsbedingt hören, was für ihn sicher kein größeres Problem darstellte. Jahrelang haben wir seine Sendungen gerne gehört. Ich habe alle Sendungen aufgehoben, Mike nicht. Die Letzte ist vom 17. September dieses Jahres, produziert worden ist sie sicher etwas früher, aber nicht sehr viel.
Erinnerungen an Mike
Teile dieses Berichts sind weiter vorne schon beschrieben, hier aber alles im Zusammenhang.
Begonnen hat alles mit Mr. Blowfish, Wolfgang Stahl. Blowfish war Plattenaufleger und Moderator bei verschiedenen Sendern, genau mit der Musik, die wir liebten. Er war beim linken „Chaotensender“ Radio 100 und bei Radio Sputnik dabei und machte seine Sache richtig gut. Beim öffentlich-rechtlichen Sender „Sputnik“ verschwand er von einem Tag zum anderen. Damit waren wir schlagartig von der zeitgenössischen Beat- und Rockmusik abgeschnitten. Das muss so um die Jahrtausendwende gewesen sein. Eine Internet-Recherche ergab, dass er Sendungen mit einem Mike Korbik gemacht hat. Die Frage war aber, war diese Information neu oder war sie schon etwas älter.
Michael Korbik stand im Telefonbuch und wohnte gleich bei uns um die Ecke. Sonntag mittags rief ich bei ihm an. Ich muss ihn wohl beim Mittagstisch, wahrscheinlich beim bevorzugten Schnitzel, erwischt haben. Wir kamen trotzdem ins Gespräch. Ja, die gemeinsamen Sendungen mit Blowfish waren schon länger her. Er selber würde allerdings eine Nachtsendung „Let’s Rock“ mit ähnlicher Musik bei Radio Eins machen. Das wurde unsere Leib- und Magensendung.
Da Mike auch in Steglitz wohnte, haben wir uns in einer Kneipe in der Birkbuschstraße verabredet. Bärbel und ich waren gespannt, was sich für eine Person hinter der ruhigen Stimme verbirgt. Er entpuppte sich als starker Mann, wenig jünger als wir. Es entwickelte sich daraus eine, leider viel zu kurze, Freundschaft. Wir trafen uns oft auf halbem Weg, bei Birgit im Café Sedan. Später ging es in die Grüne Linde, weil das Sedan dem Berliner Kneipensterben zum Opfer gefallen war. Inzwischen war auch Päivi, seine Frau, mit dabei. Päivi kommt aus Finnland, daher kommt Mikes Faible für skandinavische und speziell finnische Musik. Unsere Musikgeschmäcker unterschieden sich nur unwesentlich, wenn man von Mikes Hang zum Damengesang absieht. Dazu später etwas mehr. Musik war sicher unser Hauptthema, aber weil wir geborene Steglitzer waren, wurde auch viel über Erinnerungen unseres Bezirks gesprochen. Die Berliner und bundesdeutsche Politik haben wir mit viel Spott überzogen. Sie bereitetete uns allerdings auch viel Stirnrunzeln. Erwähnenswert sind auch unsere Besuche im Padre Pio, einem kleinen Italiener bei mir um die Ecke. Diese Steglitzer Errungenschaft ist leider inzwischen geschlossen. Die Wirtin Maria hatte jedem seinen Namen gegeben. Ich war Senior Klaus, Bärbel Signora Barbara, das geht doch? Mike war Il Gigante und Päivi Signora Nuova. Auf jeden Fall war bei Maria das Stichwort "Il Gigante" Grund, etwas mehr Hefe-Weizen vorzuhalten.
Mike spricht sich Mie-ke und nicht Maik oder Meik, und dies schon bei seinem Vater und nicht erst seit seinen finnischen Kontakten. Michael wurde nur benutzt, wenn es etwas Ernstes oder Erzieherisches gab.
Die Zeit seiner Sendungen bei Radio Eins ging vorbei, weil er für seinen Chef Helmut Lehnert nicht gut genug hinter dem Mikrofon war. Das war sicher ein Tiefschlag für Mike. Allerdings blieb er als Archivar dem Sender erhalten. Um aber seine Musik an Mann/Frau zu bringen, machte er weiterhin Sendungen beim Uni-Radio, Radio Alex und Stone FM. Das Uni-Radio war auf der Frequenz des ehemaligen Soldatensenders AFN-Berlin, am linken Rand der Rundfunkskala, bei 87,9 MHz. Es soll noch Rundfunkempfänger geben, die eine analoge Frequenz-Skala haben. Nur der Polizeifunk war linker, weil der sich unmittelbar unter dem UKW-Rundfunkband anschloss. Ein netter Wortwitz. Mikes Sendungen wurden im kleinen Kabuff in der Wohnung am Computer produziert. Meine einzige Kritik ist, dass seine Kommentare nicht immer besonders gut vorbereitet waren, Mike machte das mehr aus dem Bauch heraus. Es war aber sowieso die Musik, auf die es ankam. Wir konnten seine Sendungen von seiner Homepage herunterladen, um sie nicht zu ungünstigen Zeiten live hören zu müssen. Viel haben wir uns über seine Sendungen unterhalten, was fehlt mir heute dies. Kritik wurde ruhig weggesteckt und Anregungen angenommen, obwohl er doch ziemlich autark in der Sache war. Ich kann mich nicht an ein einziges böses Wort zwischen uns erinnern. Die Ruhe und Ausgeglichenheit, die Mike ausstrahlte, waren phänomenal.
Mike verband viel mehr mit der Musik. Er war eine Größe in der Berliner und deutschen Beat- und Rockszene. Er betrieb sein eigenes Plattenlabel Twang! und kannte sich dadurch gut in der Szene aus. Bei ihm waren die Beatitudes, High Jinks, Les Black Carnations mit Katharina Franck (damals Justine Time), die Lemonbabies, The What … For! und viele andere unter Vertrag. Drei der genannten Gruppen hatten Frontfrauen und es war eine Girlgroup dabei. Daher kommt Mikes Vorliebe zum Damengesang. Das Label Twang! war eher eine Liebhaberei und warf nichts ab, eher das Gegenteil. Eine Produktion hat ihn sogar an den Rand einer Privatinsolvenz gebracht. Twang! wurde geboren, weil einige von Mikes frühen Beatgruppen kein Label fanden. So wurde es halt selbst gemacht. Leider ist es auch so gewesen, dass seine erfolgreichsten Frauen zu Major-Labels gegangen sind. So Katharina Franck mit den Rainbirds und die Lemonbabies. Katharina landete dort den unsterblichen Hit „Blueprint“. Was hätte ich Mike diesen Erfolg mitgegönnt. Im Übrigen fand ich Katharina Franck mit den Black Carnations besser als mit den Rainbirds. Die Lemonbabies haben aber immerhin ihre schwarzen Scheiben weiterhin bei Twang! veröffentlicht, nur die CDs sind bei Major-Labels erschienen. Am 17. November 2017 gab es ein rauschendes Fest im Berliner Quasimode zum 33-jährigen Bestehen von Twang!. Dort traten viele Gruppen seines Labels auf. Ein atemberaubendes Konzert, das beste, bei dem ich mit dabei sein durfte.
Dieses Line-Up war einfach umwerfend. Es ging auch länger als bis 2 Uhr. Das Konzert ist von Mike und mir an anderer Stelle beschrieben worden. Auf jeden Fall muss ich in diesem Zusammenhang Sandy Hobbs, Uwe D. Sandhop, erwähnen. Uwe ist Gitarrist, Bassist, Sänger und Komponist bei vielen Bands, die bei Twang! erschienen sind. Er ist ein Freund und früher Mitstreiter Mikes. Kennen gelernt hatten die Beiden sich durch eine Annonce, in der Uwe einen Bassisten suchte. Mike hatte zwar eine Bassgitarre, nur spielen konnte er nicht …
Mikes Ruhe und Bescheidenheit sind vielleicht auch ein Nachteil für sein Geschäft gewesen. Mit mehr Großspurigkeit wäre es wahrscheinlich ein größerer Erfolg geworden. Ihm ging es aber mehr um die Musik, das war sein Leben. Mit den Lemonbabies ist Mike auf Tournee gegangen. Er musste vorher bei ihren Eltern vorsprechen, weil die Mädels zwischen 12 und 15 Jahre alt waren. Das war aber weit vor unserer gemeinsamen Freundschaft. Die Lemonbabies waren bis zu seinem Tod mit Mike in Verbindung geblieben. Genau das spricht für Mike.
Wir waren mit Mike bei vielen Konzerten. Erst mal bei den Berliner Größen, wie den Hardbeat Five/BBC, den The What ... For!, Bokkombo und den Boots, bei ihrem tollen Reunion-Konzert und vierzigjährigen Bühnenjubiläum 2005 auch im Quasimodo. Wir waren allerdings auch bei den Black Sabbath in der Waldbühne, die ich Anfang der Siebziger verpasst hatte, den Mistery Lights, den Fuzztones und Bevis Frond. Oft waren wir unterwegs.
Viele gemeinsame Radtouren ins Berliner Umland und Reisen unternahmen wir zusammen. Beim Radfahren hatte Mike immer einen scharfen Antritt, wurde aber auch schnell müde. Das Highlight waren zwei gemeinsame Wochen in Kalajoki/Finnland im Jahr 2013. Wir wohnten mit in Päivis Elternhaus, das der Alterssitz vom Ehepaar Korbik werden sollte. Leider wird es für Mike nichts mehr, wenn man von seiner letzten Ruhestätte dort im Garten absieht. Unter einem Lemontree wäre es angemessen. Ob dieser allerdings das finnische Klima durchstehen würde? So wie es werden wird, ist es gut.
Aber, mehr von der Reise. Wir waren natürlich auch dort bei einem ziemlich heftigen Konzert. In Riittas und Jakkes Mökki (Sommerhaus) in der Finnischen Wildnis waren wir auch. Dort führten wir die Erdbeerbowle, zu Bärbels Geburtstag, in Finnland ein. Unser erster Schlenker über den Polarkreis war auch dabei.
Als wir 2013 zusammen in Finnland waren, lauerte in mir auch der Krebs, ich wusste es nur noch nicht. Einen Monat später war mein Leben von einem Moment zum anderen ganz anders. Nun sind 9 Jahre vorbei, ich habe Glück gehabt. Mike ist dieses Glück leider versagt geblieben, obwohl wir alle darauf gehofft hatten.
Das ist nun Erinnerung. Was bleibt, ist Mikes fein geordnetes digitales Musikarchiv und seine Sendungen, von denen ich viele festgehalten habe. Alles nach Jahren geordnet und ein wahres Füllhorn. Ich werde es bewahren. Ich würde mich zu gerne mit ihm über diese Musik unterhalten. Ich erwische mich immer wieder, darüber sollten wir sprechen, bis mir einfällt, geht nicht mehr. Was fehlt, sind die Memoiren über sein Musikleben. Sie sind in seinem Kopf geblieben, schade. Inzwischen glaube ich, er hätte sie nie aufgeschrieben, selbst wenn ihm mehr Zeit geblieben wäre. Wir haben oft darüber gesprochen, ihn auch dazu gedrängt. Kennen tun wir viele dieser Geschichten, vielleicht wären ihm einige zu heikel gewesen. Da war doch auch der ...
Die Geschichte zum Bild oben auf dieser Seite. Es ist Mikes Titelbild auf seiner Homepage, die jetzt auf dieser, meiner Homepage weiterlebt, wenn sie auch eingefroren ist. Ich hätte sie nicht weiterführen können. Es gab ein schönes Bild dafür, nur auf diesem waren CDs im Hintergrund zu sehen und so etwas ging bei Mike gar nicht. Also gab es eine Porträtsession mit Mike vor seinem heimischen Plattenregal mit den schwarzen Scheiben. Die Platte, die er in der Hand hält, ist Psychedelic Situation von Jimmy Curtiss, seine absolute Lieblings-Single. Diese Platte erfüllte allerdings noch einen zweiten Zweck, sie verhinderte, dass Mike die Arme über der Brust kreuzen konnte, was seine Lieblingspose war. Die zweite Schwierigkeit war, ihm ein Lächeln abzuringen. Dies erforderte mehrere Aufnahmen.
Am 8.11.2019 war Mikes Trauerfeier in Ruhleben. Es waren über 100 Gäste dabei. Durch die Rede seines Freundes H. P. Daniels ist die Feier erträglich geworden. Toll war dabei die Geschichte, als Running Gag, dass Mike in den Achtzigern immer das Thema auf die Beatitudes lenken wollte. Ohne Zweifel waren die Beatitudes eine der besten Gruppen in seinem Stall.