Fotografien & Texte

"Meine Dienstzeit", Kriegsbilder meines Vaters


Ich besitze ein Foto-Album meines Vaters, in dem er seine Bilder des Zweiten Weltkriegs aufgehoben hat. Sie sind sicher selten von ihm selbst fotografiert. Leider ist das Album nicht ordentlich angelegt. Ich habe mich aufgemacht, die Bilder zeitlich und örtlich zu ordnen, so gut es ging. Ich kenne meinen Vater kaum, knapp 5 Jahre Kindheit reichen dazu nicht aus und benutze hier lieber den Namen "Hanne", wie ihn meine Großmutter nannte.

Mein Vater Hans-Joachim Götze ist am 1. Juni 1919 geboren. Um dem engen Elternhaus zu entkommen, ist er freiwillig mit 18 Jahren zur Wehrmacht gegangen. Damit war er von Anfang an dabei, sogar schon bei der Besetzung der Sudeten. Dann folgten Belgien, Frankreich, Polen, Dänemark, Tschechoslowakei, Norwegen und Russland, als Fallschirmjäger und damit immer ganz vorn. NSDAP-Mitglied war er auch.

Das Foto-Album


So köderten die Nazis junge Männer. Dieses Bild klebt ganz vorne im Album.


Hanne, 19 Jahre alt, Oktober 1938
Hanne, 24 Jahre, September 1943
Haben fertig? Hanne war erst 25 Jahre alt! 1944

Hanne alterte sehr schnell im Krieg. Zwischen 1943 und 1944 kommt es mir am stärksten vor. Seit Sommer 1942 ging es in Russland rückwärts. Damit waren die Großmacht-Illusionen auch vorbei und Deutschland musste plötzlich verteidigt werden. Ob das Hanne auch so gesehen hatte? Die Geister, die ich rief ...

Die roten Vierecke sind die Orte der Aufnahmen. 3000 X 600 km² Platz für Mord & Totschlag


Sudetenland

Die Sudeten-Besetzung im Oktober 1938 war noch wie ein Geländespiel bei der Hitlerjugend. Es war halt nur ein Einmarsch, ohne Gegenwehr. Das dicke Ende begann erst in Polen, 1939, Frankreich, 1940 und Russland, 1941!

Sudetenland, Oktober 1938
Unterkunft in Trübau, Moravská Třebová, 1938
Karlsbad, Karlovy Vary, Hotel Imperial, 1938
Essensempfang bei Karlsbad, 1938


Wir waren 1996 und 1997 mit den Rädern in Tschechien und der Slowakei unterwegs. Nicht auf den Spuren Hannes, sondern einfach aus friedlichen und touristischen Gründen. Dabei waren wir in Karlovy Vary und zufällig auch in Moravská Třebová auf der Durchfahrt.

Moravská Třebová, 1996


Auszug aus Bärbels Reisetagebuch, 1996. Wir sind damals in einer großen Schleife von Görlitz durch Tschechien und die Slowakei nach Dresden gefahren.

Dann kam endlich die Stadt Moravská Třebová in Sicht: Es ist die heruntergekommenste, die wir bisher gesehen haben. Das schlägt die DDR. Keine Straße ist in Ordnung. Viele Häuser sehen fast unbewohnbar aus. Wir fanden schnell ein einfaches Hotel, als ich gerade einen Platten hatte (vorne). Ein alter Mann, der sehr gut Deutsch sprach, führte uns durchs Büro auf den Hof, wo die Räder stehen können. Dann umgezogen und einen kleinen Stadtrundgang gemacht, der leider auch nichts Erfreuliches zutage förderte. Der Platz ist eintönig und unbelebt, das Schloss kann man absolut nicht als "in restauro" bezeichnen. Dann gut gegessen.

Karlsbad ist umso schöner, Hotel Imperial, 1997


Die Teilnehmer des Münchner Abkommens, Ende September 1938, traten das tschechische Sudetenland an Deutschland ab. Genauer gesagt, irgendwelche Länder taten dies, die Tschechoslowakei war daran gar nicht beteiligt. England, Frankreich, Italien und Deutschland verteilten etwas, was ihnen gar nicht gehörte, und Hitler griff zu. In dieser Tradition teilten sich später dann die Sowjetunion und Deutschland Polen. So, jedenfalls konnte die deutsche Wehrmacht das Sudetenland fast ungehindert besetzen. Hannes erstes Abenteuer. War damit der Weltfrieden gesichert? Heute wissen wir es, die britische Appeasementpolitik ist auf ganzer Linie gescheitert. Karlsbad, Karlovy Vary wurde innerhalb von wenigen Tagen „judenfrei“. War Hanne daran beteiligt? Am 9. November 1938 (Reichskristallnacht)  wurde auch noch die Synagoge dort abgebrannt. Durch die Beneš-Dekrete wurden 6 ½ Jahre später viele Deutsche in den Sudeten umgebracht oder bestenfalls nach Deutschland vertrieben. Sie wurden in Viehwagen abtransportiert, wie sich doch die Bilder mit den Judendeportationen gleichen. Dem heutigen Karlsbad sieht man glücklicherweise dieses Elend nicht mehr an. Es ist wunderschön.

Hanne als Gefreiter, Ostseebad Deep, Mrzeżyno (Pommern), August 1939
Irgendwo in Polen als Obergefreiter, schon mit Frontkämpferabzeichen, Februar 1940


Kurz vor und kurz nach dem Überfall auf Polen. Dazwischen liegt die Beförderung vom Gefreiten zum Obergefreiten. Aber es ist auch schon, rechts ein anderer Gesichtsausdruck, nach dem ersten, richtigen Fronteinsatz zu sehen. Oder glaube ich das nur? So einen Sohn, in schicker Uniform, wünschte sich jede deutsche Mutter. Solange, bis vielleicht ein Brief kam ....


Polen

Der Überfall auf Polen beginnt, September 1939

Zerstörung in Polen, 1939

Bruchlandung, 1939
Die Menschen flüchten in Polen, 1939
Polnische Kriegsgefangene, 1939
Feldflugplatz in Polen, 1939


Belgien / Frankreich

Belgien, Dinant, Mai 1940
Belgien, in der Nähe von Florennes, Mai 1940

Frankreich, 1940


Russland

Smolensk, Sommer 1941

Die Schlacht von Smolensk kostete fast 1 Million Tote, Weißrussland war schon eingenommen. Bei Smolensk gab es die erste nennenswerte sowjetische Gegenwehr. Der Blitzkrieg verlangsamte sich.

Der Blitzkrieg verlangsamt sich weiter, es werden schon Bunker gebaut, Schatalowka, Shatalovo, September 1941
Auch am Bunker, diesmal mit einem Fotoapparat im Bild. Oben, links am Türsturz steht "Obergefreiter Götze". Hanne, Zweiter von rechts, September 1941

 

Die "Rollbahn", der Nachschubweg, in der Nähe von Smolensk, Sommer 1941


Das Bild zeigt die sogenannte Rollbahn, eine vierspurige Straße, die von Smolensk nach Moskau führt. Es zeigte frühzeitig, schon nach ca. 3 Monaten, das Scheitern der Deutschen Wehrmacht. Ob das Hanne damals auch schon erkannt hatte? Die Rollbahn ist streckenweise eine Sandstraße, im Herbst und Frühjahr eine Schlammstraße und im Winter fest gefroren. Was waren unsere verbrecherischen Strategen für schlechte Geografen, Historiker und Meteorologen! Sie nahmen noch nicht einmal Kenntnis davon, dass sich hinter Moskau noch tausende Kilometer Sowjetunion anschließen. Napoleon kannten sie offensichtlich nicht, das russische Kontinental-Wetter auch nicht. Hitler und seine getreuen Generäle hätten sich eventuell zu Tode gesiegt und ein Großteil ihrer Soldaten geopfert. Der Tod der sowjetischen Bevölkerung war strategisch eingeplant. Die Strategen wollten sie verhungern lassen, damit das deutsche Heer ernährt werden könne. Wofür? Was wollten sie dort? Ich weiß, Volk ohne Raum!? Daraus wurde fast ein Raum ohne Volk. An diesen Bedingungen ist der Russlandfeldzug glücklicherweise gescheitert. Er hat jedoch 3,8 Millionen deutschen Soldaten (2,7 Millionen im Krieg und 1,1 Millionen in Gefangenschaft) und insgesamt  25 - 40 Millionen Menschen das Leben gekostet. Der russische „Untermensch“, so der Nazijargon, hat es jedoch bis nach Berlin geschafft, obwohl er aus der Tiefe der Sowjetunion kam. Die politischen Folgen haben meine Generation und die zwei davor bis 1990, durch die deutsche Teilung und der Welt verfolgt.

Juchnow, Russland, sehr viel weiter ist die Wehrmacht, bis auf Spitzen nicht gekommen, ca. 200 km vor Moskau, Oktober 1941
Begräbnis, weiß nicht, wer, wo und wann



Noch einmal Smolensk. Eine wirklich schöne Focke-Wulf FW 200 "Condor", nur leider in der Militärausführung, Winter 1941/42, (Frühjahr 1943?)


Was für ein wunderschönes Flugzeug. Es war als Langstrecken-Verkehrsflugzeug konzipiert, nun wurde es als Bomber umkonstruiert und missbraucht. Dieses Bild gibt es auch an anderer Stelle im Netz. Es ist sicher ein Bild, das unter Soldaten verteilt wurde. Es ist dort im Frühjahr 1943 datiert. Also, als sich die Wehrmacht schon im Rückzug befand. Leider ist dort das Bild ohne Quellenangabe. Ich glaube nicht, dass es Hanne fotografiert hatte. Auch ist das Bild dort genauso schlecht belichtet, wie mein Bild. Ich habe es erst etwas verbessert.

Ich nehme an, hier beginnt der Rückzug bei Smolensk am Dnjepr, 1942/43

Zerstörung

 

Entspannung mitten im Krieg, Hanne schaut trotzdem sehr nachdenklich, Halberstadt 1944


1944 war Hanne dann, mitten in den Rückzugsgefechten (die Rote Armee stand im Herbst/Winter schon kurz vor dem deutschen Kernland, an der Weichsel), in der Garnisonsstadt Halberstadt stationiert. Dort gab es das Fallschirmjäger-Ersatz- u. Ausbildungs-Regiment 1. Ob er dort Unteroffizier geworden, oder nur zur Erholung war? Als Träger des Eisernen Kreuzes war es eigentlich Zeit für eine Beförderung. 1944 enden auch die Bilder im Album. Es ging zurück an die gefürchtete Ostfront, mit welchem Dienstgrad weiß ich nicht. Hanne geriet in russische Gefangenschaft, wo und wann ist mir nicht bekannt. Er kam erst 1950, in ein Land, das ihm sicherlich fremd geworden war, zurück. Mich würde interessieren, welchen Weg das Foto-Album zurück nach Berlin-Steglitz genommen hatte. Es gibt erheblich mehr Bilder, als auf dieser Seite veröffentlicht sind. Meine Wertung? Die Bilder deprimieren mich, auch weil die Nachwirkungen von Hannes Einsatz in diesem Krieg meine ganze Kindheit und Jugend behelligt hatten. Ein Glück dabei war es, dass es meine Großeltern Hermann und Jenny gab, die mich aufgenommen hatten. Ich hoffe, die Bilder jetzt zu den Akten legen zu können. Aufgearbeitet sind sie jetzt, nur in meinem Kopf rumoren sie noch.

Seit 1951 gibt es auch wieder Bilder von Hanne. Allerdings nicht mehr in „Meine Dienstzeit“. Er hat den Krieg an den vordersten Fronten, die russische Gefangenschaft überlebt und ist wohl als psychisches Wrack zurückgekommen. Das ist sicher sehr verständlich, besonders schlimm soll es bei Vollmond gewesen sein. Letztendlich fehlte ihm mit 37 Lebensjahren der Lebenswille. Ende Juli 1956 wurde er im Jagen 86, im Berliner Grunewald erhängt aufgefunden. An seinem vermutlichen Todestag war Vollmond. Er folgte Erna, meiner Mutter nach nur 3 Monaten, die auch durch Selbstmord gestorben ist. Es war nur einem sehr glücklichen Zufall und meiner Großmutter zu verdanken, dass ich nicht am Ast neben Hanne gehangen habe. Nein, es war nicht allein der Krieg. Es waren auch 2 gescheiterte Ehen in weniger als 6 Jahren, wahrscheinlich doch der Krieg ...

Hanne, wenige Monate vor seinem Tod, mit 36 Jahren. Der Bluterguss unter dem Auge, die Abdrücke auf der Stirn und am Hals, lassen mich befürchten, dass das Bild kurz nach einem Selbstmordversuch aufgenommen wurde. Winter 1955/56


Es ist seltsam, ich sehe diese Bilder mehr unter einem historischen Blickwinkel. Dass Hanne mein Vater war, ist weit weg, genau wie bei meinen frühen Familienbildern. Auch mit meiner Mutter ist es nicht viel anders. Bei einem verlassenen Kind unter 5 Jahren kann es wohl nicht anders sein. Bei den Geburtstagen meiner Eltern müsste ich nachschauen, die meiner Großeltern habe ich im Kopf.

Meine Generation kann sich glücklich schätzen, dass ihr ein Krieg in Mitteleuropa erspart geblieben ist. Der Kosovo und die Ukraine sind schon ganz schön nah dran. Die Amis hatten Teile meiner Generation in Vietnam verheizt.